Aktuelles zu kultur_formen

Hier erscheinen regelmäßig Meldungen aus dem Bereich Kulturelle Bildung

Wer darüber hinaus auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann unseren Newsletter abonnieren.

Flops und Tops: (anti-)rassistische Kinderangebote in der Kulturellen Bildung

von Sun Hee Martischius

Copyrights: Suad Kamardeen

Die Tops und Flops (anti-)rassistischer Lieder, Bücher und Veranstaltungen für Kinder und junge Menschen mit Sun Hee Martischius.

Um Verschränkungen von Adultismus und Rassismus zu verstehen, bin ich der Frage nachgegangen, wie rassistisch beziehungsweise antirassistisch und divers Angebote für Kinder sind. Ich bin zu dem nicht sehr überraschenden Schluss gekommen, dass Rassismus auch in der Kulturellen Bildung – die junge Menschen adressiert – überall vorzufinden ist.

Das heißt: Um Rassismus zu entgegnen, müssen wir verstehen, wo Rassismus herkommt. Wo er historisch seine Wurzeln hat und wie er strukturell verankert ist. Das ist besonders deshalb wichtig, weil wir oft das große Problem haben, Rassismus überhaupt zu erkennen.

Deshalb habe ich mir stellvertretend drei Bereiche aus der Kulturellen Bildung herausgesucht: Lieder, Bücher und Veranstaltungen. Ich habe zunächst mit kritischem Blick darauf geguckt, was es heute noch für rassistische Kinderangebote gibt. Um nicht nur zu sensibilisieren, sondern auch zu empowern, habe ich dann noch geschaut, was es für Alternativen dazu gibt und wie rassismuskritische Kinder- und Jugendangebote gestaltet werden können.
 

Lieder

FLOP 
Eines meiner Kinder ist jetzt in der dritten Klasse. Zur Schuleingangsuntersuchung haben wir das Lied „3 Chinesen mit dem Kontrabass“ empfohlen bekommen. Natürlich haben wir das nicht gesungen! Ich war schockiert und habe die Frage gestellt, ob sie das ernst meinten? Kinder sollen wohl mit dem Auswechseln der Vokale die Aussprache besser üben. Klar ist aber, Kinderlieder haben einen erzieherischen Aspekt und eine Menge von ihnen vermitteln rassistische Bilder. Auch gern gesungene Kinderlieder wie „Alle Kinder lernen lesen“ beinhalten viele rassistische Fremdzuschreibungen, z. B. für indigene Menschen aus Bevölkerungsgruppen Nordamerikas und Grönland. Dazu kommen auch noch diskriminierende Inhalte wie Ableismus und Klassismus, wenn wir darüber nachdenken, ob denn wirklich alle Kinder lesen lernen.

TOP 

Dagegen kommen mittlerweile immer mehr neue Songs heraus, die bestärkend wirken. Es ist Platz für mich da! von der Kinderbuchautorin Mariela Georg und dem Musiker Ezé thematisiert, dass alle Menschen das Recht haben, teilzuhaben und willkommen zu sein. Es können nie alle Perspektiven abgebildet werden, aber das Lied vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit und hat keine negative, belehrende Erziehungsabsicht wie einige andere Kinderlieder. Ich wünsche mir, dass Eltern und Kinder solche Lieder empfohlen bekommen. Und dass es vielmehr um das gemeinsame Singen geht.

    

Eine weitere Empfehlung ist die Kindermusik von Sukini, die großartige, empowernde Lieder schreibt, wo Kinderrechte, Gleichwürdigkeit und Kinder in ihrer Vielfalt bestärkt werden.

            

Song: Okay Leutis

Auf dem Album „Da haben wir den Salat„ gibt es den Song „Okay Leutis“, der zum einen adultistisches Verhalten nachzeichnet, in Reaktion darauf junge Stimmen dagegen setzt und im dritten Schritt eine vermittelnde Sicht anbietet, die in Solidarität mit den jungen Stimmen auftritt. 

Konkret geht es um Leistungsdruck in starren Bildungsinstitutionen, normative Sozialverträglichkeit (im öffentlichen Raum) und den Zeitstress, den Erwachsene im Kapitalismus erleben und an Kinder weiterreichen. 

Die junge Perspektive wird von den Kolleginnen der Band „D!E GÄNG“ (Chaja, Kaia und Luna, alle zwischen 16 und 18 Jahren) performt.

Suki (sie/ihr) macht unter dem Namen Sukini Musik für Kinder, die sich durchaus auch als machtkritisch versteht. Sie ist seit einiger Zeit bemüht, für das Thema Adultismus zu sensibilisieren. So ist sie Teil des Netzwerks Kindermusik und hat dort die AG "Sensitivity" gegründet. Ergänzend zu ihrem Album „Da haben wir den Salat“ hat sie gemeinsam mit Sohra Behmanesh (die das Sensitivity Reading für das Album gemacht hat) einen Podcast recordet, der Adultismus aufgreift. Zur Website

Bücher 

FLOP

Viele Kinder lieben die „Conny-Bilderbücher“. Auf einem der Buch-Cover steht das junge Mädchen Conny mit ihrem Teddybären bei ihrer Mutter, ihrem Vater und Bruder. Conny lebt in einem Haus mit Garten, in einer mittelständischen Kleinstadt. Sie verbildlichen den Stereotyp einer deutschen weißen Familie. Was ist daran aber rassistisch? Das alles ist ja erst einmal nicht schlimm, aber gleichzeitig muss man sich die Frage stellen, was hier repräsentiert wird? Was wird sichtbar und welche Realitäten unsichtbar gemacht? Was ist mit all den Kindern und Jugendlichen, die durch dieses Abbild nicht angesprochen und mitgedacht werden? Für sie wird Conny und ihr Leben vielleicht zum Idealbild, nach dem sie streben, welches sie aber nicht erreichen können. Zu merken, dass man „anders“ ist, kann dazu führen, sich selbst abzuwerten und es kann schwieriger sein, als Person of Color Selbstbewusstsein zu entwickeln. Deshalb ist es wichtig, Vielfalt in Kinderbüchern abzubilden, nicht nur im Aussehen, sondern auch in den Geschichten, die geschrieben werden.

Ein Beispiel aus meiner eigenen Kindheit: Aus Ermangelung an Geschichten oder Heldinnen habe ich mich mit den wenigen asiatischen Figuren oder Personen identifiziert - teilweise überidentifiziert. Das war in den 90ern in meinem Fall „Mila Superstar“, ein japanischer Anime über eine zwölfjährige Volleyballspielerin. Ich habe mich in ihr gespiegelt gesehen, obwohl ich wirklich kein Interesse an Volleyball hatte und ja auch nicht aus Japan komme. Und trotzdem fühlte ich mich mit ihr verbunden: Ähnliches Alter, endlich ein Asiatisches Mädchen als Heldin und eben nicht weiß zu sein.

TOP 

Ching Chang Stop” von Dian Gohring - dort wird kindgerecht erklärt, wie es in der Gesellschaft ist, wenn man Anti-Asiatischen Rassismus erfährt und welche Strategien man dagegen einsetzen kann. Das zweite Buch ist die Reihe „JOKESI Club“, das erste deutschsprachige Kinderbuch mit romani und sinti Charakteren als Heldinnen. Es spielt in Berlin und handelt von den drei Freundinnen Jovanka, Kemi und Sina, die in die vierte Klasse gehen und den JOKESI Club gründen, um knifflige Fälle zu lösen. Aus diesem Buchprojekt von Tayo Awosusi-Onutor ist auch das Schreibprojekt Terne Parmissi- Wir schreiben unsere Geschichten entstanden: Kinder und Jugendliche aus der Rom*ja und Sinti*zzi-Community im Alter von 8 bis 13 Jahren kreierten ihre eigenen Geschichten mit unterschiedlichen Methoden, um ihre Erfahrungen und Perspektiven zu teilen. Das vierte Buch heißt „Wir sind Heldinnen! Unsere Geschichten“. Auch dieses Empowerment-Buch entstand aus einem Schreibprojekt, in welchem Kinder und Jugendliche zwischen 6 bis 16 Jahren ihre Perspektiven teilen. Sie haben gemeinsam die Idee gehabt, sich mit Sprache und Wörtern gegen Diskriminierungen zu wehren. Daher haben sie die Initiative „SVK - Selbstverteidigungskurs mit den Worten“ genannt.

Ein weiterer Tipp sind das KINDERSTARK und das TEENSTARK Magazin, die Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt abbilden, bestärken, informieren und dazu einladen, selbst an der Gestaltung der Inhalte mitzuwirken.

Veranstaltungen 

FLOP 

In Großstädten gibt es mittlerweile viele diskriminierungssensible Veranstaltungen für Kinder. Leider aber noch immer nicht viele Formate, in denen Kinder selbst mitwirken und gestalten können: Angebote für Kinder von Erwachsenen. Damit müssen Kinder oft das erleben, was Erwachsene unter Kinderangebote verstehen und deren Vorstellung davon ist, was Kinder gern erleben. Wie sieht es dazu für Kinder und Jugendliche aus, die nicht gerade in einer Großstadt leben? Sondern wie ich, ganz dörflich im Südwesten Deutschlands? Da gibt es ‚I* und Cowboy-Camps‘ im Ferienprogramm, in denen rassistische Narrative und dazu auch noch ganz klare Geschlechterrollen reproduziert und auch legitimiert werden: Ritter hier, Prinzessin da. Wer mehr über geschlechtsspezifische Rollenklischees erfahren will, kann sich auf dem Blog „Die Rosa-Hellblau-Falle“ umschauen.

TOP 

Welche Formate gibt es für Kinder, in denen sie sich wirklich beteiligen können? In Berlin gibt es z. B. das KUKI Filmfestival. Junge Menschen kuratieren hier das Kurzfilm-Programm selbst. Begleitet wird das Ganze von pädagogischen Workshops und Angeboten wie dem „Kurzfilm im Klassenraum“ für Kindergärten und Schulen, die Kulturelle Filmbildung vermitteln. Institutionen und Schüler*innen bekommen hier auch Zugriff auf eine Plattform, in der mit ausgewählten Kurzfilmen Material zum kritischen Denken angeboten werden. Beim KUKI Festival finde ich am allerbesten, dass die Filme nicht nur für, sondern vor allem von Kindern und Jugendlichen selbst ausgewählt und kuratiert werden.
 

Sun Hee Martischius arbeitet multidisziplinär zu den Themen Macht und Diskriminierung. Fotografie, Theater, Körperarbeit sowie impulsgebende Wissensvermittlung nutzt sie, um zu sensibilisieren und zu empowern. Ihr Fokus liegt dabei auf Rassismus, Sexismus und Adultismus. Außerdem ist sie Mediatorin und denkt auch dort strukturelle Machtverhältnisse mit. Zur Website