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Von jungem Tanz und überhörten Stimmen: Mit Future Move Tanz zur kulturellen Teilhabe junger Tanzschaffenden
Audio-Beitrag von Luana Thor
Die Tanzausbildung ist voller Hürden für junge Tänzer*innen. Die junge Tänzerin Luana Thor erzählt vom Adultismus in der Tanzwelt und wie Kulturelle Bildung in Form eines Mentoring-Programmes sie gegen diesen wappnet. Dabei sind es vor allem die anderen jungen Tänzer*innen, mit denen sie gemeinsam sogenannte erwachsene Institutionen hinterfragt. So laut, dass sie nicht mehr überhört werden können.
Autorin: Luana Thor
Editorin: Luana Thor
Musik: Luana Thor
mit Stimmen von Luana, Marta und Marina
[Hören 09:39] [Transkript herunterladen]
Transkript
Luana: Was hast du gerade gesagt?
Marta: Gepolstert habe ich einfach gesagt.
Luana: Aber du hast das irgendwie süß gesagt. So polsterlich oder so. Ich mags irgendwie voll!
Marta (lacht): Nice!
Luana: Doch! Weil man da halt ein bisschen geschützt ist. Wie in einer Daunenjacke, weißt du? Wie, als wenn wir alle wie so kleine Polarbären da rein gehen.
Marta: Voll!
Mit Future Move Tanz gegen Adultismus
Luana: Hallo! Ich bin Luana, 23 Jahre alt und Tänzerin in Berlin. Im Jahr 2023 habe ich an dem Projekt Future Move Tanz - Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende teilgenommen. Als Teilnehmende hat mir das Projekt einen kostenlosen Zugang zum kulturellen und künstlerischen Leben in Berlin und Düsseldorf ermöglicht. Als junge Tänzerin ohne professionelle, zeitgenössische Ausbildung in der Szene Fuß zu fassen und Zugang zu gewissen Räumen zu erlangen, ist nicht leicht.
Wer zu jung ist, wird schnell überhört – wer nicht zeitgenössisch tanzt, wird schnell überhört. Das strukturelle Überhören junger Stimmen und Meinungen nennt man Adultismus. Das Gefühl aufgrund des Alters nicht ernst genommen zu werden, teilen viele junge Menschen. Diese Erfahrung führt oft zu Frust oder Wut, gerade wenn sie mit anderen Diskriminierungserfahrungen verbunden ist.
Deshalb ist Future Move Tanz so ein wichtiger Raum für uns Teilnehmende gewesen. Um uns gegenseitig zuzuhören und um junge, unausgereifte, aber lebendige Ideen auszutauschen, die ehrlich widerspiegeln, wie wir Tanz erleben. Aber auch als Freiraum, um unserem Frust gegenüber einer teils mehrfach diskriminierenden Kulturszene Luft zu machen und uns gegenseitig Halt zu geben.
Future Move Tanz hat dies durch ein Format ermöglicht, das uns viel Raum gegeben hat, mit Menschen und Institutionen in den Austausch zu treten und diese Erfahrungen eigenständig in einer Abschlussperformance zu reflektieren und für andere sichtbar zu machen. Durch den Rückhalt der Gruppe und der beiden Projektleiter*innen Bahar Meriç und Robert Schulz sind wir als Teilnehmende weniger gehemmt gewesen, den Kontakt zu Choreograf*innen, Intendant*innen und Tänzer*innen auch zu nutzen, um kritische Nachfragen zu stellen und falls nötig auf verschiedene Diskriminierungen durch Institutionen hinzuweisen.
Dies haben wir als Gruppe in unserer Performance tänzerisch und in Form von Audios aus Gesprächen zu unseren Erfahrungen im Projekt reflektiert. Einige dieser Audioschnipsel sollen euch nun einen kleinen Einblick in unsere Gedanken und Erfahrungen geben.
Als Tanzgruppe gemeinsam in erwachsenen Räumen
Marina: Ich weiß nicht, ich fand das schon krass und einschüchternd in der Folkwang-Universität für Tanz oder in anderen Institutionen. Es war schon eine Hilfe, dass wir da als Gruppe zusammen waren und nicht als einzelne Personen. Als einzelne Person wäre ich da einfach nicht hingegangen. Das finde ich krass, dass nicht nur eine Verbundenheit während des Tanzens entstand, sondern auch eine Sicherheit durch sowas wie: Wir gehen da jetzt zusammen hin und sprechen mal mit Menschen von der Uni oder anderen Institutionen. Ich glaube, dass das Zusammensein als Gruppe auch ganz andere Möglichkeiten schafft.
Luana: Dieses Zitat von Marina, die auch am Projekt teilgenommen hat, zeigt ganz schön eine der Besonderheiten des Projekts: Für uns alle war es zum Teil sehr einschüchternd, sich durch die Räume von Theatern, Kunsthochschulen und Tanzstudios zu bewegen. Doch die über den sechsmonatigen Projektzyklus gewachsene Vertrautheit in der Gruppe hat uns ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Dieser Zusammenhalt ist durch gemeinsames Tanzen und Austauschen organisch gewachsen und hat es uns ermöglicht, in einschüchternden Institutionen oder Gesprächssituationen selbstsicherer aufzutreten und uns stärker zu fühlen.
Polster
Luana: Was hast du gerade gesagt?
Marta: Gepolstert habe ich einfach gesagt.
Luana: Aber du hast das irgendwie süß gesagt. So polsterlich oder so. Ich mags irgendwie voll!
Marta (lacht): Nice!
Luana: Doch! Weil man da halt ein bisschen geschützt ist. Wie in einer Daunenjacke, weißt du? Wie, als wenn wir alle wie so kleine Polarbären da rein gehen.
Marta: Voll!
Marina: Weil wir dann ja auch oft mit einem Gefühl oder mit einer Erwartungshaltung drinnen waren von: Wann oder von wem oder was kommt wohl? Weil dann doch öfter mal was war, wo man dann so war: hmpf! Doch wieder so eine kleine Enttäuschung, oder je nachdem auch eine größere. Ich glaube, dass wir das auch durch die Gruppe besser auffangen konnten. Es war nicht nur so, als warte man darauf, dass eine doofe Situation kommt, sondern dann waren wir halt in dieser geschützten oder gepolsterten Situation. So dass selbst wenn dann was ist, wir rausgehen oder noch eine andere Person mitnehmen konnten. Man ist nicht alleine mit dieser doofen Situation, sondern da sind noch die anderen, die einen selbst vielleicht auffangen können oder auch dem Gegenüber dann etwas zurückspiegeln oder darauf reagieren können. Sodass nicht alles bei der einen Person liegt. Wenn für mich eine unangenehme Situation kommt, habe ich vielleicht nicht noch die Kraft, der Person, die mich in diese doofe Situation gebracht hat, das zurück zu spiegeln, sondern will mich erst einmal rausziehen. In einer Gruppe kann das dann aber eine andere Person übernehmen…
Marta: …die gerade die Kapazitäten hat.
Marina: Genau.
Marta: Was ich auch sehr interessant fand: Wenn es zu unangenehmen Situationen kam, waren es öfter eher die Leute statt uns, die sich unangenehm gefühlt haben. Was öfter passiert ist, ist vielleicht schwierig zu sagen, weil das individuell ist und jede*r das anders zeigt, aber ich persönlich habe mir schon gedacht: Wäre ich da alleine, würde ich mich voll unwohl fühlen und in unangenehme Situationen kommen, wegen dem, was Leute gesagt haben oder was ich gehört habe. Aber ich hatte das Gefühl, dass Leute manchmal echt verunsichert waren, von denen normalerweise ich verunsichert war. Einfach weil wir als Gruppe unterwegs waren und auch manchmal provokativ waren.
Marina: Oder wir teilweise auch einfach Fragen gestellt haben, die für sie dann einfach unangenehm waren.
Marta: Genau, voll! Die aber voll gestellt gehören! Und stellenswert und notwendig sind, gestellt zu werden. Aber weil sie sonst nicht gestellt werden, lässt sie das irgendwie unwohl fühlen. Ich fand das sehr interessant!
Luana: Ich fands auch gut! Das hat mir voll das befriedigende Gefühl gegeben, auch teilweise mal einfach einen ein bisschen angepissten oder passiv aggressiven Kommentar zurück reinzudrücken. Weil ich dann auch einfach wusste, ich kann mir das gerade herausnehmen und das ist jetzt auch in Ordnung, das zu machen. Mich nicht so kleinreden zu lassen und mit einem negativen Gefühl aus so einer Situation rauszugehen.
Luana: Den Anfang dieses Audios habt ihr vorhin schon gehört. Hier unterhalten sich Marina, Marta und ich einige Tage vor unserer Abschlussperformance. Uns allen ist aufgefallen, dass wir trotz unseres jüngeren Alters als Gruppe doch eine gewisse Macht haben. Es war nie einfach nur das Ziel, sich stumm durch diese institutionellen Räume zu bewegen. Bahar und Robert haben uns von vorneherein dazu ermutigt, uns die Freiheit herauszunehmen, Fragen zu stellen und die Gelegenheit zu nutzen, den dort arbeitenden Personen und Künstler*innen kritisch auf den Zahn zu fühlen:
- Warum gibt es zum Beispiel hauptsächlich Ausbildungsprogramme für zeitgenössischen Tanz? Warum ist man mit 20 Jahren schon fast zu alt für eine Ausbildung?
- Wie soll man sich so einfach finanzieren, wenn man nicht aus einem wohlhabenden Elternhaus kommt?
- Wie zugänglich sind diese kulturellen Räume für mehrfach diskriminierte Personen?
- Wird tatsächlich daran gearbeitet, Barrieren strukturell abzubauen und kulturelle Teilhabe verschiedener Gesellschaftsgruppen zu ermöglichen?
- Oder wird dies durch den Verweis auf einige „diverse Vorzeigeprojekte“ vermieden?
Auf manche dieser Fragen haben wir keine klaren, befriedigenden Antworten bekommen. Es wäre eine Illusion, anzunehmen, dass wir durch unsere Fragen in irgendeiner Weise etwas verändern. Aber, dass sich einige der Verantwortlichen dadurch sichtlich unwohl gefühlt haben, ist vielleicht schon mal was. Denn je mehr Leute nachfragen, desto peinlicher wird es irgendwann, keine ernsthaften Antworten parat zu haben. Und dafür braucht es Programme wie Future Move Tanz, die es auch vulnerablen Personen ermöglichen, sich sicherer in barrierestarken kulturellen Räumen zu bewegen und sich dort Gehör zu verschaffen.
Das Projekt hat uns als junge Menschen dazu ermächtigt, eine Stimme und einen Platz in der Berliner Kulturszene einzufordern und dies kollektiv und selbstbewusst zu tun. Denn das, was wir zu sagen haben, hat nicht weniger Relevanz als das, was schon gehört wird.
Luana Thor (sie/ihr) studiert Politikwissenschaft und ist Freestyle-Tänzerin in Berlin. 2023 hat sie am Programm „Future Move Tanz – Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende“ teilgenommen. Wenn sie nicht gerade trainiert, organisiert sie sich politisch für kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe.
Future Move e.V. ist ein Zusammenschluss von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Kulturvermittler*innen und Pädagog*innen. Sie beraten und begleiten u.a. Kulturinstitutionen in Diversitätsprozessen, entwickeln Formate und Projekte mit künstlerisch-bildenden Methoden, forschen zu Teilhabe, Transformationsprozessen und künstlerischer Praxis und entwickeln künstlerische Bühnenstücke im Kulturbetrieb mit Perspektiven, die bislang unzureichend repräsentiert sind. Zur Website
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