KIND:ISH

Auszüge Theaterstück des DT Jung*

copyrights @ DT Jung*

Sich an seine eigene Kindheit zurückerinnern. Was blitzt einem dort direkt vor Augen? Die Familie? Die Urlaube? Die Schulzeit oder die ewigen Sommer? Die nicht so schönen Kindheiten gehen in nostalgischen Zurückerinnern-Gesprächen oft unter, dabei werden wir ebenso doll geprägt von guten wie negativen Erfahrungen. Und wo liegt eigentlich das Kollektive in unserer Kindheit? Können wir überhaupt über ein Uns reden? Dieser Frage geht Kind:ish auf dem Grund: zwischen Erforschen der eigenen und gemeinsamen Erfahrungen, der Klänge und Bewegungen der Kindheit und der Frage, in welche Welt man hineingeboren wird.

Credits

Schauspiel: Joško Erceg, Joséphine Lou Falkenstein, Leo Herrmann, Elio Hieronymus, Clara Jehmlich, Pola Juniewicz, Leni Lotte Klakow, Leonore Roennefahrt, Vanessa Semenihin, Mora Villanueva Krajnik

Regie: Mathilda Tzitzi, Julian Jesse  
Bühne: Anna Weidemann
Kostüm: Sina Skotarzack
Regieassistenz: Lisa Schiefelbein

in Kooperation mit Act e.V.

Website des DT Jung*

Das Kind in sich

Gibt es denn ein Ende? Von dem hier? Von unserer Kindheit? Können wir überhaupt mit dem Thema hier heute abschließen? Ich will nicht, dass wir hier mit etwas abschließen, mit dem wir gar nicht abschließen können und vielleicht auch gar nicht wollen. Ich glaube, es ist auch gar nicht so schlimm, wenn wir kein Ende finden. Kind sein endet ja nie. Die eigene Kindheit hat man ja praktisch immer in sich. Man sagt ja, es gibt keine Erwachsenen, sondern nur große Kinder. Ja, so wie wir geprägt wurden, stehen wir hier.

Kollektives Wiedererleben

CLARA   
Komm, gib sie mir. Die Sätze, die Du immer gehört hast.

LEONORE 
Die ich immer gehört habe?

CLARA
Die wir immer gehört haben. Los.

LEONORE 
Schläfst Du schon?
Putz deine Zähne.
Geh ins Bett.

CLARA 
Mehr. Gib mir mehr.

LEONORE
Guck doch nicht so traurig.
Sei doch mal still.
Was sagt man da?
Das schaffst Du.
Muss ich das noch hundertmal sagen?
Jetzt hab dich mal nicht so!
Warum träumst Du so viel?

CLARA
Es klappt nicht, ich fühle es nicht. Ich muss es irgendwie wiedererleben. Wir müssen zurück.

Das Puppenhaus

Früher hatten wir im Haus meiner Großeltern eine Ecke, in der zwei Puppenhäuser standen. Das eine Haus war ein Speicher mit zwei Stockwerken, in die man hineingucken konnte. Von dem anderen Haus konnte man das Dach aufklappen und auf die kleinen Zimmer blicken. Damals kniete ich Stunden vor den Häusern, habe sie eingerichtet und mir dabei Geschichten erzählt, wie die Familie heißt und wie sie leben. Ich erschuf eine komplette Welt und dachte an nichts anderes. Es war so selbstverständlich, miteinander zu spielen. Und wir, mein Bruder und ich, haben es nicht wirklich hinterfragt. Ich vermisse manchmal diese Selbstverständlichkeit, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und sich zusammen welche auszudenken. Ich setzte mir keine Grenzen und dachte nicht wie heute dauernd darüber nach, was ich denke. Ich habe das Gefühl, dass ich mich heute so oft hemme, weil ich wie ein Adler über mir schwebe, der mich kritisch beobachtet.

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Der Konflikt

Euer Ernst? Tun wir jetzt so, als wären all UNSERE Kindheiten genau gewesen? Wir zeigen hier eine romantisierte Version von unseren Kindheiten und tun so, als wären wir in einer Welt aufgewachsen, wo alle eine privilegierte Kindheit haben. In der Welt, wo ich aufgewachsen bin, konnte ich weder von meinen Eltern noch von anderen erwachsenen Personen abhängig sein.

Angefangen mit Papas und Mamas Herkunft. Beide beherrschen noch heute die Sprache nicht perfekt. Und vor zehn Jahren erst recht nicht. Wenn ich in der Schule wegen meiner Herkunft, aber auch wegen meines Aussehens fertig gemacht worden bin, konnten meine Eltern nicht einfach zur Schule kommen und das für mich klären, denn zu dem Zeitpunkt sprach ich von uns dreien das beste Deutsch. Die ganze Situation war also von mir abhängig. Ich weiß nicht, wieso Ausländer*innen in der Gesellschaft als nicht vollwertig angesehen werden, aber Geld hatte unsere Familie auf jeden Fall nicht viel. Mit zehn Jahren habe ich angefangen, mit meinen Spielzeugen zu handeln, um Geld in die Familie zu bekommen. Und ein Puppenhaus hatte ich nicht. Wissenschaftler*innen aber sagen, dass Kindheit der Status der Abhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen ist.

Was heißt das dann, war ich nie wirklich Kind? So eine schöne Kindheit wie wir sie hier zeigen, hätte ich natürlich gerne gehabt, aber trotzdem finde ich, wir sollten die nicht so schönen Seiten auch zeigen.

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